Der Mann mit dem Einkaufswagen – Richard*, ein Lebenskünstler
Mietrückstände – Räumungsklage – Zwangsräumung – Obdachlos
Er zieht durch die Lande bis er da ankommt, an dem Ort, an dem er geboren wurde – in Gevelsberg.
Er ist vor gut einer Woche hier eingetroffen und braucht noch ein bisschen, um anzukommen, sagt er und möchte sich nun erst mal hier umschauen. Begleitet wird er von dem, was ihm geblieben ist. Zwei Koffer, ein Zelt, eine riesige Plane und ein paar Taschen, in denen er Utensilien befördert wie einen Gaskocher, ein paar Erinnerungen an die Vergangenheit und Wasserflaschen.
Wasser – das trinkt er neben Tee und Kaffee sehr gern – handelt es sich dabei doch um Kristallwasser, welches er in seiner mit kleinen Bergkristallen gefüllten Flasche immer wieder neu ansetzt.
Wasser darum, weil er vor 10 Jahren das Trinken aufgehört hat und seine Drogenzeit liegt auch weit zurück- aber auch seine Familie und seine Kinder, die heute keinen Kontakt mehr zu ihm haben dürfen.
Er möchte sich erst mal hier finden, soziale Kontakte aufbauen und freut sich darüber, dass Menschen auf ihn zu kommen, die mit ihm sprechen, ihm wie er sagt nichts Böses wollen, denn er will auch niemandem etwas Böses.
Seine Haut ist braungebrannt durch die Sonne, die jeden Tag den direkten Weg zu ihm findet und Schuhe sagt er, nachdem wir ihn gefragt haben, ob er welche bräuchte, hätte er welche – doch barfuss laufen findet er bei diesem Wetter toll.
Sein Nachtlager ändert sich jeden Abend, da er noch keinen richtigen Platz gefunden hat und von den wenigen Sachen, die er hat, will er sich in Zukunft auch trennen, weil es zu viele sind, um sie mit sich rumzutragen, bzw. vor sich herzuschieben.
Er geht zur Polizei und zum Ordnungsamt, um sich vorzustellen und Bescheid zu geben, dass er nun hier wohnt, aber eben nicht in einer Wohnung, sondern auf der Straße.
Den Beamten, die er letztens an der Sparkasse Gevelsberg angetroffen hat, die wohl wegen ihm gerufen wurden, tritt er vertrauensvoll gegenüber und hält ein Pläuschchen mit ihnen. Er möchte niemanden belästigen, einfach nur seine Ruhe haben, über Dinge nachdenken, die einmal waren, die vielleicht anders hätten sein können und Dinge die ihm immer noch große Sorgen bereiten, Gedanken die Zeit brauchen, um sie zu verarbeiten.
Er wurde in Gevelsberg geboren, lebte aber seit seiner Geburt nie in Gevelsberg. Nur von den Erzählungen seiner Mutter wusste er dass er hier geboren wurde, und nachdem man ihn aus seiner Wohnung gepfändet hatte, wollte er wieder zurück – an den Ort, an dem er das Licht der Welt erblickte. Als wir ihn fragten, wie es ihm hier gefällt, strahlte er uns an und sagte, er hätte nicht gewusst, wie es hier ist und hätte sich auch nur kurz mal über Gevelsberg informiert und nun wo er angekommen ist, wolle er bleiben. Einige Menschen hätten ihn auch schon angesprochen und Hilfe angeboten.
Wir unterhielten uns fast zwei Stunden mit ihm, philosophierten mit ihm über Gott und die Welt, fragten ob er was brauchen würde, doch das was er hatte, würde ihn derzeit reichen. Er fände es auch gut so- wenn er genug hätte auch nicht mehr zu wollen.
Sparsam betteln- kein ‚Agro-Betteln‘ ist seine Devise – er erzählt uns eine Geschichte aus Köln, als er mal 5,00 Euro brauchte und 4,75 Euro erbettelt hatte, ihm demnach noch 15 Cent fehlten und ein Passant ihm 5,00 Euro geben wollte, zog er seine 4,75 Euro aus der Tasche, gab sie dem Passanten und sagte – ‚hier Ihr Wechselgeld‘.
Warum mehr nehmen, als man selber braucht, das ist seine Devise.
Seine Art und Weise, sich auszudrücken und über das Leben zu sinnieren, hat uns umgehauen. In Spanien hat er in den Weinbergen gearbeitet und hat dort auch ‚Platte gemacht‘ und jetzt wieder in Deutschland, lebt er mit dem Staat ein bisschen auf Kriegsfuß.
Zur Obdachlosenstelle in Schwelm, bei der er eine Meldeadresse anlegen könnte, wäre er wohl gegangen, aber dort müsste man Hartz4-Empfänger sein und sich jeden Tag melden, dass enge ihn zu sehr ein, dafür gibt es zu viele Sachen, die er noch mit sich regeln müsse.
Richard mit dem Einkaufswagen (*Namen werden grundsätzlich von uns geändert) freute sich, uns kennengelernt zu haben und Telefonnummern tauschten wir auch aus. Ein bereicherndes Gespräch für uns alle und zum Abschied die Gewissheit für beide Seiten, wieder voneinander zu hören bzw. sehen und noch des Öfteren die eine oder andere interessante Diskussion zu führen. Wir nahmen ihm auch das Versprechen ab, sich bei uns zu melden, wenn er etwas benötigen oder dringend Hilfe brauchen würde.
Auf unsere Frage ob ihm eine Laube oder eine kleine Halle zum Schlafen reichen würde, sah er uns an und fand die Idee mir der Laube sehr schön. Er sagte direkt, er habe auch noch Saatgut dabei und könnte den Acker fit halten, wenn sich jemand finden würde, der ihm die Möglichkeit geben würde.
Wir finden die Idee gar nicht so schlecht, auch wenn es vielleicht nicht von dem einen oder anderen Kleingärtnerverein gerne gesehen wird, dass man in einer Hütte übernachtet – aber wir finden die Möglichkeit, diesem Menschen, über den wir weiterhin berichten werden – zumindest als Übergang in dieser Form ein Dach über den Kopf zu gewähren.
UNSICHTBAR e.V.
Geschrieben von: Holger Brandenburg & Heidi Holstein-Glasmacher
Unterwegs gewesen mit weiteren Personen, wie Iris Morgenstern & Lucas König